Hallo du liebe Umweltsau

Das Privileg der Gedankenlosigkeit

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Mir geht es nicht mehr aus dem Kopf, was mir neulich eine Freundin erzählte. Ihr Mann und sie sind beide Vorbilder, wie man im Persönlichen danach strebt, Klima und Umwelt nach Möglichkeit so wenig wie möglich zu belasten. Sie haben eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach, fahren ein kleines E-Auto, haben ihr Haus mit umweltschonenden Materialien renoviert, sie kaufen, wo es geht Second Hand. Neulich brachte meine Freundin (nicht ohne zuvor, den Kaufvorgang gründlich innerlich abzuwägen) für ihr Kind ein Kleidungsstück von H&M mit nach Hause, wo etwas mit Pokémon aufgedruckt war, weil ihr Sohn das extrem toll findet. Und zuhause gab es Streit zwischen den Eltern.

frau mit einkaufstaschen
Foto von freestocks auf Unsplash

Es war nicht das, wie die beiden es normalerweise vorleben. Da, wo es geht, gebrauchte Dinge zu kaufen, um die Umwelt zu schonen und nichts, was vielleicht unter fragwürdigen und umweltbelastenden Umständen hergestellt wurde, zu konsumieren. Insbesondere da Kinderkleidung meist nur einen kurzen Lebenszyklus aufweist. Andererseits wollte meine Freundin ihrem Kind schlicht und einfach mit dem Geschenk eine Freude machen, es war praktisch, da er das Teil gerade brauchte und wie gesagt die Ausnahme von der Regel. Und sie hatte innerlich durchaus mit sich gehadert, zumal sie wusste, dass ihr Mann es nicht gutheißen würde. Jetzt hatte sie das Produkt nun mal erworben.

Basta! Vielleicht war es auch eine Art Befreiung von dem ewigen Druck, das richtige Tun zu müssen, vielfältige Einschränkungen hinzunehmen, Handlungen zu unterlassen, über die sich viele Menschen überhaupt keine Gedanken machten, einfach für einen Moment gedankenlos zu sein.

Exakt darüber habe ich mir bereits viele Gedanken gemacht. 

Es ist das Dilemma, das ich auch verspüre. Mittlerweile mache ich mir ständig, bei Alltagshandlungen Gedanken, ob das nun umweltkonform ist. Da ich ein ziemlich inkonsequenter und auch bequemer Mensch bin, versuche ich mir immer wieder Freiräume zu schaffen. Unterm Strich läuft es für mein persönliches Wohlfühlego also eigentlich noch ganz gut.

Allerdings ich bin in einigen Bereichen durchaus streng, mir selbst, aber auch anderen gegenüber. Das bedeutet, dass ich häufig mein Umfeld versuche, mehr oder minder sensibel zu sensibilisieren. Warum kippst du das Wasser aus den Trinkflaschen der Kinder gedankenlos weg, da können wir doch noch die Blumen mit gießen? Stopp, der Kronkorken gehört doch in den gelben Sack, wie kann man denn nur so gedankenlos sein? Für den kleinen Wasserfleck muss man doch kein Stück Küchenpapier verschwenden, nimm bitte ein Geschirrhandtuch. Hör doch auf, so lange so heiß zu duschen, wir wollen doch Energie sparen – und, und, und. 

frau schaut in ein fenster mit waren und schaufensterpuppen

Diese Gedanken stecken in mir und machen mich nicht unbedingt zu einem glücklicheren, unbeschwerteren und netteren Menschen. Natürlich nervt es mein direktes Umfeld, wenn ich sie immer wieder daran erinnere, Ressourcen zu sparen. Doch gerade kam die Meldung, dass wir Deutschen, die uns im globalen Maßstab zustehenden Ressourcen bereits verbraucht haben. Am 4. Mai war unser Earth Overshoot Day. Der zu deutsch Erdüberlastungstag heißt und der Tag ist, an dem die Menschen bereits alle Ressourcen verbraucht haben, die die Erde in einem Jahr bereitstellen kann. Seit dem 4. Mai leben wir also bereits über unsere Kosten, bzw. auf Kosten anderer. Bereits im Mai(?!). Das Jahr geht aber noch ein wenig länger. Das ist wie mit dem Konto, wo am Monatsanfang eigentlich schon der Zustand herrscht, der allenfalls am Monatsende noch tragbar wäre. 

Erdüberlastungstag: Deutschlands hat die ihm zustehenden Ressourcen schon im Mai verbraucht

Dabei tut es wirklich gut, auch mal gedankenlos, die Umweltsau herauszulassen, einfach mal unbeschwert zu sein. Soll das jetzt heißen, hier kommt der Freifahrschein, um endlich wieder so richtig loszuprassen, auf Kosten aller und koste es, was es wolle?

Nein. Aber da, wo man spürt, dass es für den anderen wichtig ist, da wäre es gut, ein Auge zuzudrücken. Insbesondere dann, wenn der andere sich ansonsten bemüht. Denn eine zu große Verbissenheit schafft in meinen Augen eher das Gegenteil.

Wenn jemand genau dieses eine Teil gerne kaufen, diese Reise unbedingt machen möchte, gerne heiß duscht oder anderer nicht ressourcenschonender Hobbies frönt, davon wird die Welt nicht untergehen, wenn es maßvoll und bewusst geschieht. Leben bedeutet Kompromisse zu machen, wie in der Politik geht es auch im Persönlichen nicht anders. Denn wir wollen ja nicht nur das Klima auf der Erde, sondern auch das zwischenmenschliche Klima retten.

Gerechtigkeit ist ein gesellschaftlicher Grundbaustein

Gerechtigkeit ist für uns Menschen ein wichtiger Gradmesser. Wenn nun einige in der Gesellschaft, extreme Mühen auf sich nehmen, sich zum Wohle aller zurückzunehmen und wenig zu konsumieren, und andere wiederum sich überhaupt keine Gedanken machen und in allen Bereichen umweltschädlich herumprassen, dann geht der Gesellschaftsvertrag nicht mehr auf. Auch wenn es der einzelne ist, der den teuren spritfressenden Sportwagen bezahlt, so geht diese Anschaffung letztlich auf Kosten aller. Aber wer nicht möchte, dass man die Existenz solcher Wagen verbietet, der sollte sich dafür einsetzen, dass sich derjenige mit dem Faible für schnelle Wagen dann an anderer Stelle zurücknimmt.

Das Privileg der Gedankenlosigkeit meint nichts anderes, als das Recht auf eine gewisse Leichtigkeit im Leben. Das darf aber nicht mit Rücksichtslosigkeit verwechselt werden, denn darauf hat in einer Gemeinschaft keiner ein Recht.

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