Auftakt Faire Woche 2023 Hamburg: Wie können wir unser (Konsum)-Verhalten ändern, um klimagerecht zu handeln und faire Lieferketten zu stärken?
Auf dem Podium im Jupiter nahmen neben Andrea Gerhard (l.), die die Veranstaltung moderierte, folgende Expert*innen Platz: Matthias Fiedler, (Forum Fairer Handel e.V.), Andrea Nunne (Hamburger Grünen-Abgeordnete), Baris Önes (Hamburger SPD-Abgeordneter) und Marianus von Hörsten (Koch und Inhaber des Restaurant Klinker in Eimsbüttel sowie Buchautor)
Wie kann eine zukunftstaugliche Ernährungswende gelingen und mehr Klimagerechtigkeit umgesetzt werden?, diese Fragen diskutierten Experten*innen auf dem Podium des Jupiters am 15. September in Hamburg.
Dass Klimagerechtigkeit ein sehr wichtiges Thema ist, darüber waren sich alle Teilnehmer*innen auf dem Podium einig. Für Andrea Nunne (Grüne, Abgeordnete in der hamburgischen Bürgerschaft) war es sogar das Thema, dass sie dazu gebracht hat, in die Politik zu gehen. „Ich habe so viele Bücher über Klimagerechtigkeit, Klimawandel, Bevölkerungswachstum gelesen. Die Ungerechtigkeit zwischen dem Norden und Süden, das hat mich so unzufrieden gemacht und das wollte ich in Aktivitäten ummünzen. Ich wollte schauen, wie man Wirtschaft fairer und klimagerechter hinbekommen kann.“
Andrea Nunne
Baris Önes, SPD-Abgeordneter erzählte, dass er in Hamburg Billstedt aufgewachsen sei und beim Heranwachsen als Jugendlicher andere Themen auf dem Schirm hatte als Klimagerechtigkeit. Seine Eltern, die Nicht-Akademiker*innen waren, hätten sich allerdings immer sehr dafür eingesetzt, dass sie sich zuhause gesund ernährten, sie hätten regional eingekauft und Waren bei den Bauern im Umland eingekauft. Er sei der Meinung, dass Klimaschutz und Klimagerechtigkeit wichtige Themen seien. „Damit sich etwas ändert, tun wir daher auch etwas in der Bildungspolitik und in der Schulpolitik. Wir müssten dafür sorgen, dass die Kinder aus weniger wohlhabenden Stadtteilen, auch dafür sensibilisiert werden, unabhängig vom sozialen Status“, so Önes. „Leidtragende seien die Menschen aus dem globalen Süden, die besonders ausgenutzt wurden und jetzt zudem auch noch besonders unter den Folgen des Klimawandels zu leiden hätten. Unser Wohlstand beruhe auch auf der historischen Ausbeutung des globalen Südens, das müsse sich ändern. Zudem führe es auch zu Fluchtbewegungen in besonders betroffenen Regionen.“
Matthias Fiedler vom Forum Fairer Handel e.V. kritisierte, dass die Ausbeutung leider noch nicht der Vergangenheit angehöre. Der faire Handel sei noch nicht Standard geworden.
Denn auch wenn es die Initiativen des Fairen Handels seit mehr als 50 Jahren gäbe, so sei der Anteil an fair gehandelten Produkten noch immer erschreckend klein.
So betrüge der Anteil von fair gehandeltem Kaffee am Gesamthandel in Deutschland gerade einmal 6% Marktanteil. Und das obwohl Kaffee noch das erfolgreichste Produkt im Gesamtsortiment der Fair Trade Produkte darstelle. Matthias Fiedler sagte mit Nachdruck, dass das bedeutete, dass 94% des Kaffeehandels, also der weit überwiegende Teil, nicht normaler, sondern unfair gehandelter Kaffee sei. Die Erzeuger*innen erhielten oft kein existenzsicherndes Einkommen in den globalen Lieferketten. „Der Großteil des hierzulande konsumierten Kaffees beruhe auf Ausbeutung“. Der Kaffeemarkt zeige die große Machtkonzentration einer Handvoll Kaffeekonzerne und Röstereien.
Matthias Fiedler
Ein weiteres wichtiges Thema auf dem Podium, war die Frage, wie eine zukunftstaugliche Ernährungswende gelingen könne.
Nunne führte aus, dass weit über 25 % der Klimaemissionen aus dem Ernährungs- und Landwirtschaftssystem resultieren, wie wir uns im globalen Norden ernährten, trüge also fast zu einem Drittel zur Erderwärmung und Verschlimmerung der Klimakrise bei. Einige Studien sprächen sogar davon, dass es bis zu 37% klimaschädliche Emissionen seien. Eine Möglichkeit, um die Klimaemissionen zu reduzieren, sei, dass wir viel mehr pflanzliche Produkte und weniger tierische Produkte konsumieren sollten, schlug Nunne vor.
Die Politik solle mit gutem Beispiel voran gehen, daher würde versucht, es in öffentlichen Kantinen, Schulen, Kitas umzusetzen. Ihr Abgeordnetenkollege stimmte dem zu. Es sei das Ziel, mehr Bio und nachhaltige Produkte allgemein zu verankern. Stolz nannte er das Jugendschulprogramm, dass in 2023 an 40 Grundschulen in Hamburg Kinder Obst & Gemüse gratis bekämen und ihnen in Kleingruppen Wissen zu gesunder Ernährung vermittelt würde. Vielfach herrsche noch die Vorstellung vor, dass Fleischkonsum gesund sei. Da könne mehr Aufklärung betrieben werden.
Die beiden Abgeordneten Andrea Nunne und Baris Önes
Das öffentliche Vergaberecht, das 2013 geändert wurde, sähe vor, dass Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekte bei der Beschaffung für die Verwaltung berücksichtigt würden. Önes nannte als konkrete Beispiele, dass keine Aluminiumkapseln zum Kaffeeaufbrühen mehr beschafft würden. Und es werde nur noch recyceltes Toilettepapier eingekauft, was zwar leicht teurer sei, aber so werde viel Wasser (15.000 Liter) gespart, wie Önes betonte.
Marianus von Hörsten musste über die Zahl von 40 Grundschulen schmunzeln. Das sei immerhin ein Anfang, aber doch erschreckend wenig. Er warb dafür, dass Ernährung in den Lehrplan aufgenommen werde. Viele Food-Aktivisten würden seit langem dafür werben, aber die Politik zucke nur hilflos mit den Achseln. „Ernährung sei ein schwieriges Feld…“
Der Koch sagte, er kenne die Gegenargumente wie föderaler Staat, viele verschiedene Kultusminister*innen etc. Aber es ginge darum, die Menschen besser aufzuklären. Die acht Milliarden Menschen, die auf dem Planeten lebten, sollten dringend mehr über das Essen wissen, das sie täglich zu sich nähmen. Dann wären wir besser aufgestellt. Die Krankenkassen müssten gewaltige Summen aufbringen, weil viele Menschen durch eine ungesunde Ernährung schwere Krankheitsfolgen erlitten. Es sei ihm daher viel zu einfach, der Landwirtschaft die Schuld in die Schuhe zu schieben, was alles falsch laufe.
11 Millionen Tonnen Lebensmittel wanderten jedes Jahr in die Tonne, über die Hälfte der weggeworfenen Lebensmittel würden im Haushalt weggeworfen. Noch immer sei nicht überall bekannt, dass es bei dem Hinweis auf Lebensmitteln „MDH überschritten“, nicht sofort bedeute, dass die Lebensmittel schlecht geworden seien und weggeworfen werden müssten. Es sei einfach nur ein Mindesthaltbarkeitsdatum, was die Haltbarkeit von der Herstellerseite garantierte, aber das bedeutete nicht, dass die Lebensmittel dann nach Ablauf des Datums auch automatisch schlecht würden. Das könne man selber durch Prüfung der Produkte feststellen.
Schon Kinder müssten an gesunde Ernährung herangeführt werden. Es sollten mehr Hofbesuche und Kochkurse angeboten werden, Wissen – am besten als Schulfach – vermittelt werden.
Matthias Fiedler hielt Bildung dagegen für überschätzt. Das Wissen sei vielfach vorhanden und doch werde anders gehandelt. Das sei die sogenannte „Attitude Behaviour Gap“, so Fiedler: „Du weißt, was du machen musst, um fair, biologisch, nachhaltig einzukaufen. Doch wenn du über die Schwelle eines Supermarkts trittst, dann wirst du zur ferngesteuerten Konsument*in. Viel zu oft würde man die Verantwortung auf den einzelnen abwälzen. Die Großkonzerne fänden es überhaupt super, wenn sich der einzelne Vorwürfe mache, gab Fiedler zu bedenken. „Es müssten sich Rahmenbedingungen ändern. Dem einzelnen kannst du es nicht überlassen, durch einen Bildungsauftrag das zu schultern. Die Zeit dränge, etwas grundlegend zu verändern und es habe sich all die Jahre zu wenig getan. Daher immer auf Mehrheiten zu setzen und sich ständig den politischen Gegebenheiten zu beugen, dazu hätte man nicht mehr die Zeit. Wir müssen an die Strukturen ran.“
Fiedlers Position: „Die Politik muss in einigen Bereichen einfach vorangehen. Verbindliche Vorgaben beschließen, denen die Konzerne dann folgen müssten.“ Einen hoffnungsvollen Ansatz sah Fiedler in Bürgerräten. Ein Bürgerrat für Ernährung wurde jetzt auf Bundesebene eingerichtet, dort sitzen Menschen, die zufällig ausgewählt wurden, und Vorschläge machen sollen und etwas in der Politik anschieben könnten.
Baris Önes hatte dafür Verständnis, aber er erinnerte dennoch daran, dass es einen gesellschaftlichen Konsens brauche. Es sei wichtig, sich für mehr Bio, für mehr Nachhaltigkeit, für mehr fair gehandelte Waren einzusetzen. Er wäre dafür preisliche Anreize zu setzen, denn wenn Bioprodukte teurer sind, dann werden Menschen, die das Geld nicht haben, zu den deutlich billigeren Produkten greifen. Gerade Menschen, die das Grundeinkommen beziehen. Und er hielt es in dieser Hinsicht auch für sehr sinnvoll, die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse abzuschaffen.
Doch Geld sei endlich. Und es gäbe viele Probleme, der sich die Politik annehmen müsse. Viele Menschen hätten Angst, dass sie sich die Klimawende nicht leisten könnten. Önes mahnte, dass Bioernährung in einigen Kreisen als elitär abgestempelt werde, das sei keine gute Entwicklung. Wir müssten die Menschen mitnehmen. Es wäre nicht gut, Menschen an Parteien zu verlieren, die den Klimawandel leugneten.
Andrea Gerhard stellte Önes die Frage, warum es aber dennoch alles so lange dauere, obwohl es nicht nur hier auf dem Podium, sondern auch unter Politiker*innen, den Konsens gäbe, dass sich in all diesen hier heute angesprochenen Bereichen dringend etwas ändern müsse.
Das EU-Lieferkettengesetz mache ihm Hoffnung, dass sich die Dinge zum Besseren wenden, sagte Önes. Durch das Lieferkettengesetz müssten Unternehmen darlegen, von wem sie Waren bezögen und zu welchen Konditionen, und damit Rechenschaft für ihr Vorgehen ablegen. Allerdings bereite ihm Sorgen, dass das Gesetz durch Lobbyarbeit immer mehr aufgeweicht würde. Insgesamt sei es wichtig, dass mehr Druck aufgebaut würde.
Druck sei wichtig, damit sich in der Politik etwas bewege.
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