Der Bürgerrat Ernährung legte neun Vorschläge zum Thema "Ernährung im Wandel" vor - die Vorschläge sind konstruktiv, spannend und machen Lust auf politische Auseinandersetzung
So kann Demokratie auch funktionieren – Der erste Bürgerrat, bestehend aus ausgelosten Bürgerinnen und Bürgern, erarbeitete in den letzten Monaten Vorschläge für die Politik in Sachen Ernährung und legte jetzt neun Empfehlungen vor – nun muss sich die Politik mit den Vorschlägen auseinandersetzen. Wäre das nicht auch ein Weg für die verfahrene Situation in der Landwirtschaft?
Demonstrationen gehören zu gesunden Demokratien dazu. Besondere Aufmerksamkeit ziehen derzeit die Bauern-Proteste auf sich, Monate davor waren es die Aktionen der Letzten Generation, die sich gegen zu wenig politisches Engagement gegen die Klimakrise richtete, die die Gemüter erhitzten. Doch so legitim und manchmal auch zielführend Proteste sein können, noch besser ist es, Missstände durch politische Mitwirkung zu beseitigen. Wie schwierig dabei Politik zu betreiben ist, was gerne einmal von uns Bürgerinnen und Bürgern übersehen wird, kann dabei gut durchlebt werden.
Wie können Bürger in der Politik mehr mitmischen? Ein Ansatz, um der Politikverdrossenheit, die einige Teile der Gesellschaft ergriffen hat, zu bekämpfen, ist das Instrument der Bürgerräte. Der erste Bürgerrat des Deutschen Bundestags zum Thema „Ernährung im Wandel“ hat jetzt seine Empfehlungen vorgelegt, die hier direkt von der Seite des Bürgerrats übernommen wurden.
Für den Bürgerrat wurden 160 Mitglieder ausgelost und haben seit September 2023 in mehreren Sitzungen in Präsenz und online zusammen getagt und beratschlagt. Sie wurden dabei vom wissenschaftlichen Beirat des Bundestags in ihrer fachlichen Arbeit unterstützt.
Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern sind folgende Punkte für eine bessere Ernährung wichtig, die Reihenfolge zeigt ihre Gewichtung.
- Kostenfreies Mittagessen für alle Kinder: Bundesweit soll an allen Kindergärten und Schulen kostenfreies und gesundes Mittagessen angeboten werden
- Bewusstes Einkaufen leicht gemacht durch ein verpflichtendes staatliches Label: Für alle in Deutschland und der Europäischen Union verkauften Produkte soll es ein verpflichtendes staatliches Laben geben. Das Label soll die Bereiche Klima, Tierwohl und Gesundheit einzeln berücksichtigen und soll wissenschaftlich fundiert sein.
- Verpflichtende Weitergabe von genießbaren Lebensmitteln durch den Lebensmitteleinzelhandel: Supermärkte und andere Lebensmittelgeschäfte ab einer Größe von 400 Quadratmetern Verkaufsfläche sollen verpflichtet werden, noch genießbare Lebensmittel, die sonst weggeworfen würden, an gemeinnützige Organisationen weiterzugeben.
- Lebensbedingungen und Herkunft von Tieren transparent darstellen: Ein verpflichtendes und staatlich kontrolliertes, ganzheitliches Tierwohllabel soll den gesamten Lebenszyklus von Nutztieren abbilden.
- Neuer Steuerkurs für Lebensmittel: Die Definition von Grundnahrungsmitteln soll überarbeitet werden. Darunter sollen in Zukunft auch Produkte wie pflanzliche Milchersatzprodukte, Fleischersatzprodukte und alle nach Bio-Standards erzeugten Produkte fallen. Zucker soll hingegen nicht mehr als Grundnahrungsmittel gelten und damit die darauf erhobene Mehrwertsteuer auf 19 Prozent angehoben werden. Auf Produkte wie unverarbeitetes und tiefgefrorenes Obst und Gemüse in Bio-Qualität, Hülsenfrüchte, Nüsse und Vollkorngetreide sowie Mineral- und Tafelwasser soll keine Mehrwertsteuer mehr erhoben werden.
- Gemeinschaftsverpflegung in Pflegeeinrichtungen: In Krankenhäusern, Reha-, Senioren- und anderen Pflegeeinrichtungen soll der Zugang zu gesunder und ausgewogener Ernährung sichergestellt werden.
- Verbrauchsabgabe zur Förderung des Tierwohls: Mit einer zweckgebundenen Verbrauchsabgabe auf tierische Produkte soll der Umbau der Tierhaltung hin zu einer artgerechten Nutztierhaltung finanziert werden. Die Einnahmen aus der Verbrauchsabgabe sollen für eine Tierwohlprämie genutzt werden, die landwirtschaftliche Betriebe kontinuierlich erhalten, wenn sie die Haltungsform verbessern. Dabei soll gelten: je besser die Haltungsform, desto höher die Prämie.
- Altersgrenze für Energydrinks: Für den Kauf von Energydrinks und ähnliche Produkte soll ein Mindestalter von 16 Jahren eingeführt werden.
- Mehr Personal für Lebensmittelkontrollen und bessere Transparenz: Die Berufsordnung für Lebensmittelkontrolleure soll so geändert werden, dass die Zugangshürden für diesen Beruf gesenkt werden. Kontrollergebnisse sollen der Öffentlichkeit auf einfache Weise zugänglich gemacht werden.
Der Bürgerrat sieht es auch als wichtig an, dass auch in privaten Haushalten die Lebensmittelverschwendung eingedämmt wird. Das Instrument der Aufklärung wird dabei als entscheidende Säule zur Beseitigung der Lebensmittelverschwendung erachtet, aber das Bürgerräte-Gremium konnte sich nicht mehrheitlich darauf einigen, diesen Punkt unter die neun Empfehlungen aufzunehmen.
Besonders strittig war das Thema, wie man mit zuckerhaltigen Getränken umgeht und ob eine Verteuerung durch verpflichtende Abgaben oder Steuern erfolgen sollte. Hier war die Mehrheit des Bürgerrats der Ansicht, dass keine verpflichtenden Maßnahmen beschlossen werden sollten.
Jetzt gilt es sich im Einzelnen die Vorschläge anzusehen, die keinerlei bindenden Charakter haben, aber sich an die Abgeordneten des Bundestags richten, sich damit auseinanderzusetzen. Die Vorschläge sind jeweils mit Finanzierungsvorschlägen durch den Bürgerrat versehen.
Bereits über die erste Empfehlung des kostenfreien Mittagessens an Kitas und Schulen für alle Kinder, die auch einkommensstarken Familien, die es nicht unbedingt nötig hätten, zu Gute käme und dessen Umsetzung immens teuer sein dürfte, kann man sicherlich trefflich diskutieren. Aber genau darum geht es: Hier sind sinnvolle Anstöße formuliert, etwas politisch besser zu machen und über die Vorschläge zur Ausführung und Ausgestaltung kann jetzt weiter gestritten werden.
Das ist Demokratie im besten Sinne und das Beispiel sollte unbedingt weiter Schule machen.
Als nächstes wäre doch ein Bürgerrat Landwirtschaft eine gute Idee, bei der Besetzung könnte die Hälfte des Rats aus Landwirten und Landwirtinnen, bestehen. Neun konkrete Empfehlungen an die Politik wären sicherlich ein guter Anfang für eine neue Landwirtschaftspolitik.
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